Über Zoom durfte ich im April 2021 mit Julia Meyer, die seit 13 Jahren im Gesundheitsmanagement bei OTTO Online-Handel arbeitet, ein anregendes und informatives Gespräch über das Thema Trauer am Arbeitsplatz führen.

„Ob OTTO Best Practice ist, das weiß ich nicht. Luft nach oben ist immer.“

Das war der Einleitungssatz von Frau Meyer in unser Gespräch. Ja, ich sehe das genauso: Luft nach oben ist immer. Es geht erst mal um den ersten Schritt und den Mut, etwas zu tun, bei einem Thema, in dem oft noch der Gedanke vorherrscht, lieber nicht darüber reden und lieber so tun als wäre nichts gewesen.

Das Thema Trauer am Arbeitsplatz ist in wenigen Firmen fixer Bestandteil der Unternehmenskultur. Anders bei OTTO, wo der Trauer am Arbeitsplatz offen begegnet werden darf.

Zu Julia Meyer kommen Mitarbeitende dann, wenn deren Leben aus den Fugen gerät. Durch Stress, Überforderung, depressive Verstimmungen oder Depressionen. Auch wenn Sie sich mit dem Umgang mit Sterben, Tod und Trauer auseinandersetzen müssen. Das Thema Trauer kommt auf Mitarbeitende nicht ständig oder wöchentlich zu, doch wenn es einen Fall gibt, dann stellt Julia Meyer eine Häufung fest.

Im letzten Jahr starben aus einem Bereich zwei relativ junge Mitarbeitende kurz hintereinander. Das Remote-Arbeiten machte die Situation nicht leichter. Doch mit externer Unterstützung konnten das Team und die einzelnen Personen aufgefangen werden.

OTTO arbeitet seit vielen Jahren mit der externen Beratungsstelle CHARON zusammen.

Zum Thema „Trauer am Arbeitsplatz“ gibt einen Arbeitskreis von CHARON, in dem unterschiedlich große Unternehmen und Trauerbegleitende sind, um sich auszutauschen und dazuzulernen.

Was bringt es, wenn das Tabu um Tod und Trauer in einem Unternehmen fällt?

„Es ist eine Milchmädchenrechnung, wenn über unliebsame Themen nicht gesprochen wird.“

Die Arbeit kann Betroffenen in der Trauer Struktur geben und Halt sein. Wichtig dabei ist, dass Mitarbeitende befähigt werden, zu kommunizieren, was sie brauchen und was nicht, was hilft und was nicht hilft. Dafür findet Julia Meyer die Schulung der Teams sehr wertvoll, denn jeder hat in der Konfrontation mit Trauer Angst etwas Falsches zu sagen. Und nichts sagen verletzt auch und ist keine Lösung.

Im Umgang mit Menschen in der Trauer gibt es einige Stolpersteine, die relativ leicht aus dem Weg zu räumen sind, indem man darüber spricht.

Es entsteht eine neue Qualität zwischen den Mitarbeitenden und Teammitgliedern, wenn über Tod, Ängste, Sorgen, das, was man braucht, … offen gesprochen werden darf und kann.

„Für Betroffene und das Team braucht es einen geschützten Rahmen, in dem man die Seele nicht unbedingt auf der Zunge tragen muss, sondern wählen darf, wem ich was sage und was nicht. Wenn das fehlt, dann wird oft lieber nichts gesagt.“

Welche Angebote gibt es bei OTTO?

Auf der unternehmensinternen Homepage zur psychosozialen Beratung findet sich das Thema Sterben, Tod und Trauer ebenso, wie familiäre Konflikte, Schulden, Abhängigkeitserkrankungen usw. Die Trauerbegleitung der Mitarbeitenden, Vorträge und Workshops werden überwiegend von CHARON durchgeführt.

Es werden Vorträge für Mitarbeitende angeboten und Workshops für Führungskräfte. Die Vorträge um Tod und Trauer werden weniger stark frequentiert, als zu anderen Gesundheitsthemen. Bemerkenswert ist, dass die Teilnehmenden durch die besonders persönliche und vertrauensvolle Atmosphäre sehr viel mitnehmen können. Vor allem, weil die meisten in irgendeiner Weise mit einer Trauersituation konfrontiert sind.

Workshops für Führungskräfte sind sehr wertvoll, denn diese funktionieren als Multiplikatoren. Die Führungskraft muss sich nicht mit allen Themen bis ins Detail auskennen, sondern einen Einblick haben und wissen, welche Experten sie mit gutem Gewissen weiterempfehlen kann.

Gibt es Abläufe bei OTTO, wenn ein Mitarbeiter, eine Mitarbeiterin stirbt?

Ja, das ist wichtig. Die Abteilung Gesundheitsmanagement übernimmt und ist die Schnittstelle zwischen Angehörigen und der Personalabteilung, dem Betriebsrat, den Führungskräften, …

Außerdem sagt Julia Meyer:

„Auch wenn mir diese Anrufe mit den Angehörigen bevorstehen, ist es mir wichtig, dass sie eine Ansprechperson haben, die weiß, welche Informationen an welche Abteilung oder Person weitergegeben werden müssen und das dann auch übernimmt. Aus dieser kleinen und am Anfang unangenehmen Aufgabe, die diese Anrufe bedeuten, kann etwas ganz Besonderes entstehen.“

Haben Sie Abläufe, wenn Mitarbeitende trauern?

„Das ist Aufgabe der Führungskraft, die bei Bedarf auf unser Gesundheitsmanagement zukommt. Deshalb bietet OTTO auch die Workshops an.“

Julia Meyer bestärkt nochmal:

„Im Falle einer Trauersituation bei Mitarbeitenden kommt es auf die Führungskraft an, doch sie wird nicht alleine gelassen.“

Welche Empfehlungen würden Sie Unternehmen geben, die der Meinung sind, dass man schlafende Hunde nicht wecken soll oder es einfach so weiter gemacht wird, wie es immer getan wurde?

Julia Meyer schmunzelte, als sie sagte:

„Das kann man schon so tun.“,

und bezieht sich auf Worte, die sie am Anfang sagte:

„Nur weil man über unliebsame Themen nicht spricht, sind sie nicht weg.“

Es gilt nicht nur auf Fehlzeiten zu achten, sondern darauf, wie es den Mitarbeitenden, die da sind, geht. Zum Beispiel bei Präsentismus. Die Fehlzeitenquote ist gering, doch das sagt nicht aus, ob diese Person ihre Arbeit leisten kann oder schaut sie aus dem Fenster, weil ihre Gedanken und Gefühle mit etwas anderem belastet sind?

Wenn es um Tod und Trauer geht, ist es wie beim Thema Depression. Viele wollen lieber nicht darüber reden. Es sei Privatsache. Lieber wird noch von Burn-out gesprochen, weil das mittlerweile anerkannter ist. Da hat wenigstens jemand davor gebrannt. Schlussendlich ist ein Burn-out nichts anderes, als eine Depression. Die Unsicherheit im Umgang mit unliebsamen Themen, die das Leben aus den Fugen geraten lassen, ist immer noch groß.

„Unternehmen sind gut beraten, wenn sie hier Zeit und Geld investieren – genau darum geht es. Auch wenn der Return On Invest nicht so leicht messbar ist, wie bei einer Autoproduktion – man legt vorne das hinein und hinten kommt das mit so und so viel Gewinn heraus – bin ich überzeugt, dass sich die Investition in das Wohlbefinden der Mitarbeitenden doppelt und dreifach auszahlt. Messbar ist diese Investition an der Unternehmenskultur, an der Offenheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gespräch, an der Mitarbeiterbindung.

Es ist für jedes Unternehmen elementar wichtig, sich um die Gesundheit, also um Körper, Seele und Geist der Mitarbeitenden zu kümmern.“

Diesen abschließenden Worten von Julia Meyer kann ich kaum mehr anfügen, als meinen großen Dank an Unternehmen wie OTTO, die diesen Auftrag schon umsetzen und sich für die ganzheitliche Gesundheit ihrer Mitarbeitenden einsetzen.

Mein Eindruck ist, dass OTTO sich Best Practice in Bezug auf das Gesundheitsmanagement nennen darf. Dieses große Unternehmen ist schon viele Schritte gegangen, reflektiert sich und entwickelt sich weiter. Die schweren Themen, wie auch Trauer und Tod, sind nicht tabuisiert. Und vor allem, weil gesehen wird, dass immer Luft nach oben ist.

Danke Frau Meyer für Ihre Zeit und Ihr Engagement.

22/11/2021
Astrid Bechter-Boss
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