Eine öffentliche Zeremonie und eine Friedhofsbestattung wird von der Kirche präferiert. Tote sollten an einem öffentlichen Ort für Trauer, Gebete und Andenken erreichbar sein. Andererseits wird der Wunsch nach Individualisierung, nach Verabschiedungen in aller Stille immer häufiger. Und was hat der Leichenschmaus heute noch für eine Berechtigung?

Abschied in aller Stille

Die Gründe können sehr unterschiedlich sein. Bei vielen Menschen bemerkte ich, dass Erfahrung mit Ritualen fehlen. Neben all der Individualisierung ist es dem  sozialen Geschöpf Mensch doch wichtig, es „richtig“ zu machen. Ich bekam Fragen gestellt wie: „Was ist wenn ich bei der Beerdigung weine?“ Oder „Was denken die Menschen, wenn ich nicht weine?“ Vor noch gar nicht all zu langer Zeit war es üblich, den Beerdigungen im Umfeld beizuwohnen. Die Menschen wussten durch Erleben, dass weinen und nicht weinen, schreien, stumm sein und sogar das Lachen ganz normal sein können. Ich vermute, viele Individualisten haben Angst vor dem Individualismus im sozialen Gefüge und vermeiden daher das Gefüge, die Gemeinschaft.

Bei einer Verabschiedung in aller Stille war ich auf Grund eines Missverständnisses dabei. Es war für mich so trostlos, die trauernde Familie zu sehen. Niemand, der dem Leid beiwohnt. Jahre später sagte die Tochter der Verstorbenen zu mir: “Wie schön, dass wenigstens du da warst. Es war, als hätten wir eine Zeugin dafür, dass es wahr ist.”

Abschied in aller Stille nimmt auch die Berechtigung für einen Leichenschmaus, der sehr in der Kritik steht. Hat er überhaupt einen Sinn?

Leichenschmaus, Sinn und Berechtigung

Eine Erklärung kann aus folgendem Satz abgeleitet werden:

Nach der Verabschiedung geht die Trauergemeinschaft gemeinsam in das Gasthaus, um zu essen.

Schauen wir uns die einzelnen Satzteile einmal genauer an:

Nach der Verabschiedung:

Wie soll es jetzt weitergehen? Die letzten Tage waren Organisation, Gedanken über die Verabschiedung, den Blumenschmuck, den Lebenslauf und all die anderen Dinge wichtig. Doch wie soll ich jetzt weitermachen? Wohin mit der Leere, mit dem Alleinsein, mit der Endgültigkeit?

Die Trauergemeinschaft:

In der Trauer sind wir eine Gemeinschaft, wir haben einen Menschen nicht mehr bei uns, der wichtig war und ist. Wir trauern alle, manchen ist die Trauer näher als anderen, doch wir sind verbunden.

Gemeinsam in ein Gasthaus gehen:

Damit verbinden wir Geselligkeit, Gemeinschaft und auch Öffentlichkeit. Es ist ein öffentlicher Raum, an dem wir erzählen, lachen, weinen und offen sind mit unserer Trauer. Die Trauer wird nicht in ein kleines privates Kabäuschen verbannt. Trauer darf öffentlich gelebt werden.

Um zu essen:

Sich stärken, sich bereit machen für einen langen Weg, umgeben von Menschen, die zeigen, dass sie da sind – für mich. Ich bin nicht allein, und das gibt mir Kraft und ich esse, stärke meinen Körper, der manchmal vergessen wird in dem großen Schmerz der Trauer.

Individualismus

ist wichtig. Ich möchte nicht in einer Zeit leben, in der ich eine von vielen bin. Ich will als Individuum mit den Vielen leben. So möchte ich auch in der Trauer und im Tod verbunden sein mit denen, die mir im Leben wichtig sind.

Individualismus im sozialen Gefüge, meine Urne oder mein Sarg an einem Friedhof mit vielen anderen Gräbern und vielleicht darf ich ja „Mäuschen“ sein, wenn es bei meinem Leichenschmaus Gulasch mit Spätzle und Apfelstrudel gibt – nicht um zu essen, sondern um zu hören, was denn da jetzt alles erzählt wird. Ein schöner Gedanke für mich.

 

25/06/2019
Astrid Bechter-Boss
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